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Politische Gefangene in El Salvador

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José Atilio Montalvo, Gefangener des Regimes 

 

Ende Juni dokumentierte das Comité de Familiares de Personas Presas y Perseguidas Políticas de El Salvador – COFAPPES (Komitee der Angehörigen politisch Gefangener und politisch verfolgter Personen in El Salvador) 86 entsprechende „Fälle“. Nicht aufgeführt sind die längst selbst zur Zielscheibe staatlicher Repression gewordenen Menschenrechtler*innen. Der schwersterkrankte José Atilio Montalvo, Unterzeichner der Friedensverträge von 1992, ist seit dem 30.05.2024 einer der politischen Gefangenen.

 

Als junger Student an der Universität von El Salvador wurde José Atilio Montalvo durch die Ungerechtigkeit sensibilisiert, die Tausende von Salvadorianer*innen unter dem Militärregime erlebten. Atilio schloss sich Studentenorganisationen an der Universität an und war die treibende Kraft hinter der Asociación General de Estudiantes Universitarios de El Salvador (Allgemeinen Vereinigung der Universitätsstudenten von El Salvador). Er ist einer der Überlebenden des 30. Juli 1975 von Militärs verübten Massakers an Studierenden. Atilio sah den Frieden immer als die demokratische Lösung an, die es den verschiedenen Akteur*innen ermöglichen würde, die Achtung und Verwirklichung der Menschenrechte in El Salvador zu gewährleisten. Nach dem Friedensabkommen, zu dessen Unterzeichnern er gehörte, beteiligte er sich an den demokratischen Prozessen in El Salvador und trug zur Gründung der nationalen Zivilpolizei bei. 

 

Einige Zeit später schloss er sein Studium als Wirtschaftswissenschaftler an der Lutherischen Universität von El Salvador ab. In diesem Beruf war er in den letzten Jahren tätig. Atilio hat nie aufgehört, die Prozesse der Bürger*innenbewegungen zu begleiten und stand der studentischen Jugend immer sehr nahe. Offen wies er immer wieder auf die Verantwortung Nayib Bukeles am Verfall von Demokratie und Menschenrechten in El Salvador hin.

 

Im November 2023 erlitt er im Alter von 71 Jahren einen ischämischen Schlaganfall. In der Folge litt er monatelang unter Sprach-, Gleichgewichts- und Artikulationsprobleme. Er befand sich in palliativer Behandlung, betreut von seiner Familie. Außerdem litt er an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Am 30. April 2024 erlitt er einen Herzstillstand und musste notoperiert werden. Danach wurde bei ihm eine chronische Nierenerkrankung im Stadium 5 diagnostiziert. Am Montag, dem 27. Mai 2024, wurde er operiert, um einen Vorhofkatheter für die Dialyse zu legen. Sein Gesundheitszustand war entsprechend sehr geschwächt. Seine Söhne, seine Töchter und seine Frau übernahmen mit Hilfe der jeweiligen Ärzte seine Pflege.

 

Am Abend des 30. Mai gegen 22.30 Uhr fuhr ein Pick-up ohne polizeiliches Kennzeichen am Haus der Familie vor. Im Wagen: Polizeibeamten der Abteilung für organisierte Kriminalität (DECO). Sie klopften an die Tür, seine Frau öffnete und ein Polizeibeamter bat darum, mit José Atilio Montalvo zu sprechen. Seine Frau sagte ihnen, dass er schlafe, aber die Beamten antworteten, dass sie ihn für eine laufende Untersuchung befragen müssten. Die Ehefrau wiederum erklärte, dass José Atilio gerade operiert worden sei und bat, dass sie bis zum nächsten Tag warten sollten, um ihn zu sehen. Die Polizisten bestanden darauf, dass sie ihm nur ein paar Fragen stellen wollten.

 

Atilio, der sich in einem kritischen Zustand befand und einen Katheter im Bauch trug, war bereit, mit der Polizei in seiner Wohnung zu kooperieren, aber die Polizisten bestanden darauf, dass er hinaus auf die Straße ging und erklärten, er werde nicht verhaftet. Auf der Straße hielten sie ihn fest und forderten ihn auf, verschiedene Personen anhand von Fotos zu identifizieren, während sie Fotos von ihm machten. Er wurde unter Vorspiegelung falscher Tatsachen festgehalten. 

 

Dann teilten sie ihm mit, dass er zur Wache der DECO in der Straße El Progreso in San Salvador gebracht würde. Seiner Frau wurde zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, dass er verhaftet, ob und wieso er angeklagt sei. 

Seine Frau insistierte gegenüber der Polizei, dass Atilio am Morgen des 31. Mai zu seiner ersten Dialyse im Instituto Salvadoreño del Seguro Social (ISSS) gehen müsse. Die Polizisten bestanden darauf, dass er trotz seines ernsten Zustands in dieser Nacht auf der Wache bleiben müsse und ein Anwalt nötig sei, der ihn am nächsten Tag vertrete, auch, dass sie ihn zur Dialyse bringen würden.

 

Am Morgen des 31. Mai wurde Atilio in Polizeibegleitung in das ISSS-Krankenhaus für Chirurgie in San Salvador gebracht und blieb dort bis zum 3. Juni. Bis zum 5. Juni durfte er nicht mit seinem Anwalt sprechen. Auch eine Dialyse wurde ihm verweigert.

 

José Atilio Montalvo wurde unter dem Vorwurf des Terrorismus und der Rebellion gegen den Staat verhaftet. Dies – so den offiziellen Medien zufolge - gemeinsam mit einer Gruppe anderer Personen. Sein Haus wurde in den frühen Morgenstunden des 1. Juni gestürmt, wobei lediglich Computer und einige technische Geräte beschlagnahmt wurden.

 

Der Gesundheitszustand von José Atilio Montalvo ist kritisch, sein Herz geschwächt und die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Herzinfarkts ist hoch. Darüber hinaus sind die aktuellen Rahmenbedingungen so, dass er weder vor Infektionen geschützt und angemessen ernährt werden kann, noch den nötigen Schlafrhythmus und eine ständige medizinische Versorgung sicher gestellt werden kann. Ohne die dringend benötigte medizinische Behandlung besteht die Gefahr, dass er in den Händen der Behörden stirbt. Nach sieben Tagen Haft im Gefängnis "El Penalito" wurde er am 10. Juni in das ISSS-Krankenhaus verlegt, wo eine Infektion als Folge der schlechten Hygiene und der prekären Bedingungen im Gefängnis diagnostiziert wurde.

 

Am 14. Juni fand - unter Ausschluss der Öffentlichkeit - eine Gerichtsverhandlung statt, bei der von der Verteidigung alle Beweise und ärztlichen Atteste von José Atilio vorgelegt wurden. In ihrem Urteil entschied die Richterin der Dritten Kammer, dass Atilio unter polizeilicher Bewachung im ISSS-Krankenhaus für Chirurgie verbleiben solle. Trotz seines Gesundheitszustands wurde er dort jedoch entlassen und am 19. Juni erneut und trotz bestehender Lebensgefahr in das  "El Penalito" verlegt. Alle ihn betreffenden medizinischen Unterlagen und Berichte  wurden präsentiert, um zu belegen, dass Atilio Montalvo außerstande war, die ihm bei seiner Festnahme vorgeworfenen Taten zu auszuführen. 

 

Bis zum heutigen Tag hat der Rechtsbeistand von Atilio Montalvo beantragt, dass seine Gesundheit Vorrang hat. Seine Inhaftierung ist nach wie vor willkürlich. Am 27. Juni wurde José Atilio Montalvo - ohne Rücksicht auf den kritischen Gesundheitszustand, sein Alter und seine  Schwäche -  in das Gefängnis von Santa Ana verlegt.

 

Freiheit für Atilio Montalvo!

Freiheit für die politischen Gefangenen!

 

(Frei übersetzte Veröffentlichung von COFAPPES, Juni 2024)

 

Liste politisch Gefangener und politisch Verfolgter in El Salvador, Stand 03/24


Mit Ihrer Spende unterstützen Sie den Kampf für die Freilassung von Atilio Montalvo und aller politischen Gefangenen!

 

  

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"Die Unterentwicklung ist keine Phase der Entwicklung, sondern ihre Folge. Die Unterentwicklung in Lateinamerika ist die Folge der Entwicklung anderer, die sie weiterhin fördert."

Eduardo Galeano (1940-2015, Montevideo / Uruguay)

Die offenen Adern Lateinamerikas im Vorwort zur 8. Ausgabe, 1980